Paaah, ich kneife doch nicht am zweiten Tag und nehme die Bahn. Ich
fahre selbstverständlich mit dem Fahrrad. Nach Friedrichstadt. Zug, ich
glaube, es hackt! Zwar habe ich weder einen geeigneten noch einen
ungeeigneten Plan, aber mein Navi wird es schon richten. Na, denkste!
Die
Pension teile ich mir mit zwei oder drei Monteuren und einem Mann
mittleren Alters aus Magdeburg, der mit seinen Eltern samt Auto,
Anhänger und E-Bikes von Ort zu Ort fährt, um vom jeweiligen Standort
aus Radtouren zu unternehmen. Abends klopfe ich bei den drei jungen
Männern um zu fragen, wann sie anderntags aufbrechen müssten und so
erfahre ich, dass ich ab sieben Uhr in der Frühe freie Bahn im Bad haben
werde. Da wusste ich allerdings noch nicht, dass eben auch besagte
Rad-Touristen im Haus logieren und nachdem ich den Sohn morgens
ausgiebig husten höre und später seinen Frosch im Waschbecken vorfinde,
verzichte ich großzügig auf das Zähneputzen.
Ich
packe meine Sachen zusammen und kümmere mich um das Vorderrad, dass mich
gestern fast zum Sturz gebracht hat. Nun, es ist tatsächlich locker,
aber ich spanne es eben nach. Kein Ding. Dann klemme ich meine Taschen
an den Gepäckträger und befestige die Lenkertasche in den dafür
vorgesehenen Klickfix. In mein Fahrradkörbchen lege ich den Beutel mit
meinem Proviant und bin abfahrbereit ... also nachdem ich Teile meiner
Regenbekleidung angezogen habe.

Ich
bin ähnlich gut vorbereitet, wie gestern, nur mit dem kleinen
Unterschied, dass es gestern wenigstens eine mehr oder weniger klare
Linie - den Nord Ostsee Kanal Radwanderweg inklusive einem passenden
Bikeline-Führer - gab. Aber nach Friedrichstadt konnte ich irgendwie
keine Struktur erkennen. Viele Wege, bzw. Teil-Abschnitte führen dort
hin und so stürze ich mich einfach mal so in den Tag. Dumm ist jetzt
nur, dass ich noch nicht einmal weiß, in welche Richtung ich Rendsburg
überhaupt verlassen muss und so drehe ich einfach noch mal eine kleine
... ääääh ... sagen wir mal 'Besichtigungsrunde' ... durch die Stadt.
Ich komme an einem Rad-Wegweiser vorbei, auf dem zu lesen ist, dass es
zum Bahnhof nur schlappe 100 Meter sind, nach rechts, ... aber pöööh ...
Obwohl ich das mal im Hinterkopf behalte. So für den Notfall,
sozusagen. Ich komme an einer Marina vorbei und als ich zum dritten Mal
eine Tanke passiere, bin ich leicht genervt. Beim zweiten Mal dachte ich
noch, dass es wohl eine andere sein muss, aber Pustekuchen, es war
jedes Mal die selbe.
Wie dem auch sei, ich halte an
und studiere die Karte, die Lil' Ben und ich zu Hause in mühevoller
Kleinarbeit zusammen geklebt hatten. Es ist ja so, dass die Etappen
Rendsburg-Friedrichstadt und Friedrichstadt-Büsum auf mehrern
Anschlusskarten verteilt sind und wir im Rahmen der Gepäck-Optimierung
und der besseren Übersicht (hahaha) aus vier Karten eben eine gemacht
hatten, die aber nass und immer nasser wird, je länger ich ratlos auf
sie drauf starre. Das einzige, was sich mir erschließt, ist, dass ich
irgendwie nach Fockbek kommen muss. Also zunächst einmal nach Fockbek.
Ok, dann muss es Ol' Tom halt richten. Handy-Navi fällt aus, wegen
Wetter.
Nach endlos langer Wegstrecke erreiche ich
Fockbek und studiere meine Karte, die sich langsam in ein großes und
zusammenhängendes Feuchtgebiet verwandelt. Aber gut, hier ist Moor,
warum soll es sich nicht auch auf der Karte wiederspiegeln? Noch habe
ich Humor. Die nächste Station, so kann ich ermitteln, ist der Fockbeker
See - ich denke mittlerweile in kleinen Abschnitten - und suche mich
auf den Weg. Da ich also echt keine Ahnung habe, wo ich bin ... also
ok, Fockbek ... und wo ich hin will ... also ok, Friedrichstadt, aber
das hilft mir im Moment nicht weiter ... radel ich einfach mal in
Richtung Husum. Das ist ausgeschildert und die grobe Richtung. Immerhin
hatte ich gestern Zugfahrpläne studiert und ich hätte von Rendsburg nach
Husum fahren, in Husum nach Friedrichstadt umsteigen und ein Stück
zurückfahren müssen. Also grobe Richtung Husum. Da kann nichts schief
gehen, da werde ich über kurz oder lang wenigstens in die Nähe von
Friedrichstadt kommen und im Glücksfall den Ort sogar streifen. Dachte
ich. In Fockbeck stoße ich auf einen Radweg, der Ochsenweg heißt.
Allerdings glaube ich, mich trifft der Schlag. Der ausgewiesene Radweg
ist eine einzige Matschkaule. Wurzelwerk wächst quer über den höchstens
einspurigen, mit eng stehenden Bäumen gesäumten Weg und dank der
Wetterlage ist alles verschlammt. Boah, ich bin genervt. Und außerdem
ist ständig ein Wanderweg in's Fockbeker Moor ausgewiesen und da will
ich nicht hin. Ergeben meistere ich die Rutschpartie und stoße
irgendwann auf eine Schotterpiste, die durch ein Waldstück führt. Von
oben greifen mich Militärflugzeuge an, die im Sinkflug über mich hinweg
donnern. Moah, ich will nach Hause. Mamaaaaaa! Es regnet mittlerweile
heftiger. Mein Rad sieht aus wie Sau und selbst der Sattel bekommt seine
Ladung Matschepampe ab, als ich absteige und mit dem Schuh an selbigem
hängen bleibe. Zum Glück gab es keinen Umfaller. Ich hätte gekotzt,
ehrlich!
Madame Schotterpiste hat aber auch einmal ein
Ende und ich komme an eine Landstraße. Es gibt zwei Möglichkeiten,
nämlich links oder rechts rum zu fahren und da ein Radwegweiser anzeigt,
dass es links nach Husum geht, fahre ich natürlich links. Aber hey, das
ist kein Radweg. Das ist definitiv eine Landstraße. Es gibt noch nicht
mal einen Seitenstreifen, der breiter als ein Minirock lang wäre. Aber
da stand ein Schild. Für Radwanderer! Meine Güte, wo bin ich hier
gelandet. Tapfer fahre ich weiter, nichts ahnend, dass es noch schlimmer
kommen sollte.
Nach ein paar Kilometern ist Ende!
Schicht! Nichts geht mehr, also ohne militärische Legitimation. Ich
stehe vor einem Tor. Einem geschlossenen Tor mitten auf der Landstraße
und es führt kein Weg daran vorbei. Hallo? Da stand ein Wegweiser! Was
soll das? Aber gut, nützt ja nichts. Militärischer Sicherheitsbereich,
Fliegerhorst Hohn (und ich empfinde die ganze Angelegenheit langsam als
solchen). Ich muss umkehren und irgend_wohin fahren. Hatte ich erwähnt,
dass ich nach Hause will? Also falls nicht, ich will nach Hause. Wenn
ich heute in Friedrichstadt ankomme - und lustigerweise zweifle ich
keinen Augenblick daran - dann lasse ich meine Plörren da stehen, fahre
postwendend mit dem Zug zurück nach Kiel, hole mein Auto, packe alles
ein und fahre nach Hause. Was eine Schnapsidee, das Ganze war. HOHN!
Aus
lauter Verzweiflung programmiere ich mein TomTom und weil es mal wieder
nicht so recht weiß, was "Radweg" bedeutet, schalte ich kurzerhand auf
"Autobahn vermeiden" und fahre die Straße zurück. Ich komme durch
hübsche Orte, die u. a. Lohe, Tetenhusen, Königsberg ... wenn ich
Svenja
jetzt ticker, dass ich in Königsberg bin, macht sie sich Sorgen, dass
ich zu weit nach Osten abgedriftet bin (oder zeigt mir einen Vogel) ...
Christiansholm und Erfde heißen.
Seit einiger Zeit macht
mein Vorderrad zicken. Irgendetwas schleift und der Reifen macht
schmatzende Geräusche. Leider entdecke ich keine Fahrradwerkstadt und so
frage ich in Erfde einen recht kommunikativen Mann, der mir über den
Weg läuft. Überhaupt scheint mir Schleswig Holstein ein Land zu sein, in
dem gerne und viel geredet wird. Wenigstens mit Fremden. Nein, eine
Fahrradwerkstadt gibt es hier nicht, höchstens in Hohn. (Langsam fühle
ich mich veralbert). Aber ich habe keine Lust, den ganzen Weg wieder
zurück zu radeln und so lasse ich es drauf ankommen. In Friedrichstadt
wird es wohl einen Mechaniker geben, der das Malheur richten kann. Der
Mann erzählt mir noch, dass es bis in's 20 Kilometer entfernte
Friedrichstadt ab jetzt eine schöne Strecke ist. Radwege und so.
Hocherfreut mache ich mich wieder auf den Weg.
Der
Radweg führt ... natürlich ... an einer Bundesstraße entang ... und
endet abrupt. Einfach so. Mitten im Gelände. Weg! Aus, vorbei, fini!
Cool! Meine Nerven liegen mittlerweile derartig blank, dass mich das
jetzt auch nicht mehr interessiert und so fahre ich einfach auf der
Bundesstraße weiter. Die Autos brausen an mir vorbei, aber, wie gesagt,
mir doch egal. Wenn mich jetzt jemand von hinten aufgabelt, komme ich
wenigstens nach Hause. Meine Gedanken sind nicht mehr wohlwollend-gütig
und so strample ich grummelnd den Berg - jaaaaaaa_haaaa, Berg! - hinauf!
Auch das noch. Boah, alles Shice, alles Mist, deine Ellie!
Hier
muss es doch einen Radweg geben. Das kann doch nicht sein. Auf der
anderen Straßenseite entdecke ich ein kleines Wegchen und ich wechsle
die Seite. Tatsächlich, vielleicht hundert Meter weiter geht der Radweg
lang. Schön parallel zur Bundesstraße. Spurplatten zwar, aber breit und
in gutem Zustand. Einziges Manko, es ist hier total langweilig. Aber
wenigstens hat der Regen aufgehört.

Mittlerweile
bin ich in der Nähe von Süderstapel und es ist nicht mehr weit.
Irgendwann, man ahnt es bereits, treffe ich auf eine Bundes- oder
Landstraße. Wohl mit separatem Radweg. Es ist derartig windig, dass ich
mich mit Tempo 9 km/h durch die Landschaft quäle. Ich überlege kurz, ob
ich nicht lieber absteigen und schieben soll, aber das wäre ja
eigentlich blöd. Die Anstrengung ist die gleiche und ich käme noch
langsamer voran. Außerdem zählt nun jede Minute, denn ab hier ist das
Ziel das Ziel, sozusagen, welches ich auch tatsächlich am frühen
Nachmittag nach knapp fünfeinhalb Stunden erreiche - und das Ganze nur
mit einem Plus von 8 Kilometern Umweg. Wer hätte das gedacht.

Ein paar Meter noch und ich bin in der Innenstadt. Als ich eine Tourismusbüro sehe halte ich an und erstehe eine
vernünftige Radwanderkarte
der Region, die mir ab jetzt und für die nächsten zwei Etappen gute
Dienste erweisen wird. Also hoffe ich mal. Meine Güte, ein Tag, den man am besten aus dem
Gedächtnis streicht und wenn das morgen wieder so läuft, dann fahre
ich nach Hause. Geschworen.
Als
ich mein hübsches Zimmer im Ringhotel Aquarium beziehe, bin ich für's
erste versöhnt. Ich nehme eine Dusche und danach schlendere zum
gegenüberliegenden Marktplatz. Da gibt es eine Pizzeria ...