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Dienstag, 12. Juli 2016

Der Reise letzter Streich - Weltfischbrötchentag

"Fahr bloß nicht zu früh los", mahnt mich Svenja abends am Telefon, "vor zehn Uhr dreißig bin ich nicht vor Ort", und so tackere ich meinen Hintern ab sieben Uhr morgens in den Sessel, die Hoffnung nicht aufgebend, dass sich die Minuten in Sekunden verwandeln oder sich wenigstens an den Takt meiner Finger anpassen, die ungeduldig auf die Tischplatte trommeln. Aber klappt nicht. 

Um viertel vor acht halte ich es nicht mehr aus. Pöööh, ob ich nun hier warte und die Tapete von den Wänden glotze, oder gemütlich am Kanal sitze und den Schiffen zugucke, was ist da die Wahl!? Und so starte ich in meinen letzten Radwandertag. Die Etappe ist kurz, gerade mal 10 Kilometer, denn ich treffe Svenja und Claudia bei Brauer's Aalkate in Rade. Juchhuuuu, heute ist Weltfischbrötchentag. Darauf freue ich mich schon seit Wochen. Äääääh, also auch ... Der Plan ist, dass mich die Beiden dort auflesen, Travis dann in mein Hippiemobil laden, um gemeinsam in meine Kieler Stadtresidenz zu fahren und einen gemütlichen Tag verleben. Aber vorher gibt es etwas zu Essen. In Brauer's Aalkate, wie bereits erwähnt. Aber so weit ist es noch nicht, es ist gerade mal kurz vor acht, als ich aufbreche, um die letzte Etappe meiner NOK-Reise hinter mich zu bringen.

In Rendsburg muss ich die Seite des Kanals wechseln. Leider ist die Schwebefähre außer Betrieb, so dass ich den Tunnel nehmen muss. Man fährt mit dem Fahrrad, bzw. man schiebt es in einen Aufzug, der ewig weit nach unten donnert. Krass. Irgendwie ist das strange hier unten. Das ist Urlaubsfeeling pur. Wie am Flughafen nur ohne Flieger, wie U-Bahn, nur das kein Zug angebraust kommt, wie San Gottardo oder San Bernadino, als ich noch ein Kind war und im 'Kasten' des alten Käfers mit Eltern, Geschwistern und Nierenschale nach Italien fuhr. Wie die Fähre von England nach Dover ... einfach frech und frei und alles. Das ist so Aufbruch, irgendwie. Abenteuer.




Moment, ich muss mal eben den Streuselkuchen aus dem Ofen holen ... Misto, doch was dunkel geworden. Naja gut, ist jetz so und ich bin eh auf Diät, sozusagen. Also alles gut.

Auf einem Schild ist zu lesen, dass es nach Kiel nur 36 Kilometer sind und es ist noch früh, als ich durch einen Rendsburger Wohnbezirk fahre und kurz darauf in ein Industriegebiet komme. Die Sonne scheint schon ordentlich und ich halte kurz an, um meine Jacke auszuziehen. Kurz überlege ich, ob ich nicht einfach durch, also bis Kiel fahren soll, vertage die Entscheidung aber auf später. Was eine gute Idee war, denn der NOK, so vorbildlich und in guten Zustand er zwischen Brunsbüttel und Rendsburg auch war, so lässt er hier doch arg zu wünschen übrig.

Ich erfreue mich an der guten Beschilderung, denn es ist sogar ein abknickender Pfeil auf die Straße gemalt, der den Weg weist und so biege ich bei der übernächsten Gelegenheit ab. Zwei Wege, kurz hintereinander gibt es und ich kann mir nicht vorstellen, dass der kleine, zugewachsene Trampelpfad, der als erstes kommt, der NOK sein soll. Scheint aber so zu sein ...  und ist auch so.


Wieder einmal die reinste Natur. "Zum Glück regnet es nicht und hoffentlich geht es jetzt nicht lange auf diesem Pfad weiter" oder so in der Art denke ich, nicht ahnend, was als nächstes auf mich zu kommt. Aber erst strampele ich grummeld die Anhöhe hinauf. Ok, Anhöhe ... auf eine Anhöhe folgt ein Abfahrt. Ufffff ... Als ich den Weg hinter mich gebracht habe geht es links auf einen breiteren Schotterweg, der es in sich hat. Es geht rasant und über mehr Steine als Stöcke hinab, direkt auf den Kanal zu. Meine Bremsen funktionieren, Ok, man könnte natürlich auch in voller Fahrt nach rechts (oder links) auf den Spurplattenweg lenken ... und hoffen, dass man trifft, denn die Platten sind mal wieder wesentlich höher verlegt, als der nebenseitige Grund. Autschi, wenn man da rein gerät, dann gute Nacht, Marie.


Aber wie gesagt, meine Bremsen funktionieren und so verzögere ich langsam, nicht, dass ich zu guter letzt noch über das Ufer hinaus rutsche und im Kanal versinke. Alles geht gut ... also außer, dass der weitere Weg grottig wird. Was bisher wenigstens marode Spurplattenbahnen, Matschepampe oder Schotterpiste waren, sind jetzt zwei Bahnen in Backsteingröße und es erfordert sehr viel Konzentration, auf dieser schmalen Spur zu fahren. Mein Plan, bis Kiel durchzufahren löst sich in Luft auf und ich bin froh, als ich endlich bei Brauer's Aalkate in Rade ankomme. Auch, wenn es erst kurz vor 9 ist und ich noch stundenlang auf Svenja warten muss. Aber das ist halt so mit Frauen, man wartet immer.


Ich habe Zeit, ich habe Chips und ich bin an einem klasse Fleckchen Erde mit Sitzgelegenheit und so lasse ich mich auf dem Baumstamm am Ufer des Kanals nieder und widme mich der Nahrungsaufnahme. Was kann es Schöneres geben, als Schiffe gucken und Chips futtern, denke ich gerade, als ich von hinten angesprochen werde. Ein älterer Herr aus Bremen - und wer nicht weiß, dass Bremen ein eigenes Bundesland ist, der vermutet es spätestens jetzt - verwickelt mich in ein Gespräch, welches ziemlich einseitig verläuft. Allerdings ist es sehr informativ und ich lerne jede Menge über die Seefahrt und auch über die Hochseefahrt, denn er war früher Matrose. Außerdem erzählt er mir, dass die 'MS Astor' heute auf ihrer ersten Fahrt dieses Jahr hier vorbei kommen wird. Aber das dauert und so lerne ich noch viel mehr über See- und Hochseeschiffahrt, erfahre viel über sein Leben am Wasser, seine weitverzweigte Verwandschaft ... und ich lerne, dass man nicht nur auf Frauen wartet, sondern auch auf Musikschiffe und darauf, dass sich der Mann endlich verzieht. Ich will genießen. In Ruhe. Chips und den Kanal. Aber ich bin gut erzogen und bleibe freundlich. Außerdem bin ich Rheinländerin - wohl mit Migrationshintergrund - und demzufolge bin ich fröhlich, offen und herzlich. Das wird gemeinhin erwartet und ich bin hier und heute Representantin. Wenn auch unfreiwillig.

Endlich, endlich und pünktlich auf die Minute kommen Svenja und Claudia. Ich freue mich riesig, denn jetzt geht mein Abenteuer zu Ende und ich habe das geschafft. Ganz alleine. Außer mein Fahrrad. Das pressen wir gemeinsam in's Hippiemobil, mit dem Svenja mich abholt. Der ganze Tag liegt noch vor uns, aber zunächst setzen wir uns in die Aalkate zum Lunch. Ich bekomme mein Fischbrötchen ... und dann kommt auch endlich die Astor.


Morgen um diese Zeit bin ich schon längst auf der Autobahn nach Hause. Schön war's und es gibt bestimmt eine Wiederholung. Ob wieder alleine oder in Begleitung, dass weiß ich noch nicht. Alleine ist schön, wenn alles glatt läuft. Sich die Verantwortung teilen zu können, wenn es nicht gut läuft, hat natürlich auch was für sich. Aber wie gesagt, ich bin Exil-Rheinländerin, ich bin kommunikativ und vereinsame nicht, auch wenn ich gerne schweige. Jaaaaaaa_haaaaa, Funny sagt auch gerne mal nichts. Selten, aber es kommt gelegentlich vor.

Aber jetzt gehen wir erst einmal zu Svenja grillen und da werde ich erzählen und erzählen und erzählen, dass ihr bald die Ohren qualmen. Aber sie hat gesagt: " Erzähl mal, wie es war." 

6 Kommentare:

  1. Den Weltfischbrötchentag habe ich noch nicht live erlebt, aber schon einiges darüber gehört. Und ich finde, um eine Welt, in der man so etwas Gutem und Schönem wie einem Fischbrötchen einen eigenen Tag widmet, kann es noch nicht so schlecht bestellt sein. :)

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  2. Darauf aufmerksam wurde ich durch deinen Beitrag und ich war ganz begeistert, als ich tatsächlich zur rechten Zeit am rechten Ort war. Allerdings beschränkt sich mein Weltfischtag-Erlebnis auf ein äußerst leckeres Matjesbrötchen in Brauers Aalkate. Das war aber eher im kleinen Rahmen, sozusagen. Vielleicht sollte man Fischbrötchen-Beauftragte in die Krisengebiete senden.

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  3. Ich war ganz bei dir bis zu der Stelle, wo es heißt: "Funny sagt auch gerne mal nichts." Du bist die kommunikativste, fröhliche Plaudertasche, die ich kenne. Außer Pieps vielleicht und das macht euch beide so liebenswert.
    Der Rendsburger Kanaltunnel ist doch wirklich cool. Für mich sieht die Röhre aus, wie eine Location aus einem James Bond Film. Jeden Moment könnte Goldfinger um die Ecke kommen.
    Hoffentlich bist du nicht sauer, dass ich vergessen habe, dir die versprochenen Fotos zu schicken. Entschuldige, hab ich verpennt und dein Foto der Astor ist doch klasse.
    So ganz hat dich Schleswig-Holstein nicht begeistern können, aber am Kanal war es doch wenigstens ein bisschen schön. Jedenfalls mag ich es sehr dort. Die großen Schiffe aus Übersee fast zum Anfassen nah un die wunderbare Ruhe am Kanal.

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    1. Hmpfff ... und ich habe extra die Stelle weg gelsssen, wo ich gesagt habe, dass ich schon groß bin :-D

      Ob mich SH begeistert hat, oder nicht, du hast <3

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  4. Der Tunnel ist ja cool. Erinnert mich irgendwie an einen alten Science Fiction: Time Tunnel oder so. Jedenfalls hattest Du ja wieder großartiges Wetter. Weltfischtag? Meinetwegen kann es ruhig Weltfischwochen geben!

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    1. Der Tunnel war etwas spooky und es war recht kühl da unten. Das Wetter war tatsächlich klasse und ich hatte am Vortag sogar Sonnencreme gekauft :-)

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