Seiten

Montag, 22. August 2016

Ausflug in die Vergangenheit

Als ich 8 Jahre alt war, planten meine Eltern ein Gastsemester an der Universität von Marseille zu verbringen und die Kinder sollten mit. Ab jetzt stand jeden Abend statt Gaston Lagaffe, Spirou oder Luky Luke eine Lektion Französisch lernen auf dem Programm. Sehr zum Leidwesen meiner älteren Schwester und mir. Meine Güte, ich hatte keine Lust auf Frankreich - Funny und weg von zu Hause war schon immer ein schwieriges Thema - und auf Schule in Frankreich schon mal gar nicht. Musste man da nicht Kittelschürzen anziehen? Ich fand mich in unserer kleinen Dorfschule äußerst gut aufgehoben - auch wenn man eine halbe Stunde hin latschen musste und eine Stunde wieder zurück.  Heeee, es ging bergauf und außerdem war ein Spielplatz auf dem Weg. Gut, den hätte man natürlich auch vor der Schule frequentieren können, aber dann wäre man zu spät zum Unterricht gekommen. 

Wie dem auch sei, irgendwann schloss ich mich mit meiner Schwester kurz und stellte fest, dass wir ausnahmsweise mal einer Meinung waren. Wir wollten beide nicht nach Frankreich verschleppt werden. Nun kann man meinen Eltern zwar nachsagen, dass sie zwar stets ihre Pläne verfolgten, aber sie achteten trotzdem auf ihre Kinder und so wurden wir kurzerhand zu den Großeltern nach Düsseldorf verfrachtet und mussten dort ein halbes Jahr ausharren. Mitten in der Stadt, vierte Etage. Für mich als wildes, freies Bandenmitglied ein krasser Kulturschock. War ich es doch gewöhnt nach den Hausaufgaben auf der Straße mit meinen Freunden Fußball zu spielen, stundenlang mit dem Fahrrad im Wendehammer im Kreis zu fahren oder im Wald zu verschwinden um Hütten zu bauen, auf Bäume zu klettern oder einfach nur um rum zu streunen. Es war immer wenigstens 'die halbe Straße' zum Spielen da. In Düsseldorf gab es keine verfügbaren Kinder und so habe ich viel gebastelt und Berge von Topflappen gehäkelt oder ich bin auf den Spielplatz gegangen und habe stundenlang geschaukelt. War ich vorher ein ausgesprochenes Gesellschaftskind, so bin ich hier vorübergehend zum Einzelgänger geworden. Aber es war ja nur ein halbes Jahr. 
 
Düsseldorf. Wie gerne würde ich mal die Straßen sehen, in der ich gewohnt habe. Das Haus. Am liebsten würde ich mal an der Tür klingeln und gucken, wer da jetzt wohnt. Was das für Menschen sind, da, hinter dieser Tür ...


Aber ich traue mich nicht. Was würde ich sagen, wenn plötzlich jemand vor meiner Tür stünde und sagte: "Hallo, ich bin Funny und habe vor über 40 Jahren in dieser Wohnung gewohnt."? Es ist ja schon krass genug, dass ich einfach in das Haus hinein spaziert bin ... aber die Tür stand offen und so war die Gelegenheit günstig. 


Düsseldorf. Wie gerne würde ich mal ... und so machte ich mich mit Nancy auf den Weg und erledigte gleich drei Dinge auf einmal: Ich fuhr über die Autobahn, ich fuhr über Straßenbahnschienen, was ich bisher immer vermieden hatte und ich guckte mir die Umgebung an, in der ich ein halbes Jahr meines Lebens verbracht habe. Am Stück verbracht habe, wohlgemerkt, denn ich war natürlich mehrfach dort. Als wir aus Italien nach Deutschland gezogen sind und noch keine Bleibe hatten, als meine Eltern in Frankreich weilten und später, als mein Vater als Gastdozent in Canada war und ich natürlich nicht mit wollte. Also wurde ich kurzerhand in ein Internat in der Nähe von Düsseldorf gesteckt und suchte meine Großeltern so gut wie jedes Wochenende heim. Aber das ist dann Thema für einen anderen Ausflug. Vielleicht. 

Einiges ist in Düsseldorf anders, als damals aber vieles ist gleich geblieben ... nur ein bisschen kleiner. Der Spielplatz hat sich verändert. Hier vorne, zwischen den zwei Bäumen, stand die Schaukel, auf der ich stundenlang geschaukelt bin. Auch einmal, als die ersten beiden Stunden Unterricht ausgefallen sind. Waren doch ausgefallen, oder!? Keine Ahnung, auf jeden Fall gab es ein Mordsspektakel ... Ich glaube, die Lehrerin war krank und die Kinder wurden in andere Klassen verteilt und weil ich nicht wusste, wo ich hin muss, bin ich kurzerhand auf den Spielplatz gegangen. 

Ob das überhaupt die selben Bäume von damals sind? Wohl eher nicht.

8 Kommentare:

  1. ****Nun kann man meinen Eltern zwar nachsagen, dass sie zwar stets ihre Pläne verfolgten, aber sie achteten trotzdem auf ihre Kinder und so wurden wir kurzerhand zu den Großeltern nach Düsseldorf verfrachtet und mussten dort ein halbes Jahr ausharren.****

    Muhahahahaaaaa! Das hast du wirklich mal schön gesagt!

    So long,
    Corinna

    AntwortenLöschen
  2. War ich es doch gewöhnt nach den Hausaufgaben auf der Straße mit meinen Freunden Fußball zu spielen, stundenlang mit dem Fahrrad im Wendehammer im Kreis zu fahren oder im Wald zu verschwinden um Hütten zu bauen, auf Bäume zu klettern oder einfach nur um rum zu streunen.

    Wir beide wären damals sicher gute Freundinnen geworden. (Außer du wärst in einer anderen Bande gewesen). Solch eine rührende Geschichte aus deiner Kindheit. Den Spielplatz hab ich mir ganz genau angesehen und mir versucht, die kleine Funny, frech und wild und wunderbar, dort vorzustellen. Ist mir gut gelungen...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es gab nur eine Bande ... und es gab Kinder, die nicht in unserer Straße gewohnt haben :-)

      Wir wären bestimmt gute Freundinnen geworden, die ihre Klamotten getauscht hätten. Stell dir vor, manchmal musste ich Kleidchen tragen ... hmpfff ... :-D

      Löschen
    2. Ja. Da hätte ich sofort mit dir getauscht. *seufz*

      Löschen
  3. Ich war auch so ein wildes Kind. Vom Dorf. Und Ausflüge in die nächstgrößere Stadt (Olpe, hihi... da kann man mich von groß reden!) waren für mich immer grauenhaft. Später mußte ich dann da zur Schule gehen, ab der 5. Klasse. Aber nach der Klingel immer nix wie weg. Ich glaube in Düsseldorf wäre ich eingegangen.

    AntwortenLöschen
  4. Ich war das Kind, das immer weg war. Ich wurde ständig gesucht. Und manchmal weitab der Heimat "gefunden". Und zurückgebracht. Dabei habe ich immer genau gewusst, wo ich bin und wie ich wieder zurück komme. Grmpf.

    Solche alten Plätze aufsuchen, das hat immer etwas ganz geheimnisvolles. Kürzlich stand ich vor dem Haus, in dem in Delmenhorst meine Großeltern gelebt hatten. Oder in Hittfeld, wo meine andere Großmutter lebte. Da hätte ich sogar durch die Fenster in die alte Wohnung schauen können. Habe ich aber nicht gemacht, ich habe in den Garten geschaut, geseufzt und bin weiter.

    AntwortenLöschen
  5. Bäume klettern, Rumstreunen, Fußballspielen... Du beschreibst gerade meine Kindheit. Ich habe nie nicht einen Rock besessen (ok. einen zur Konfirmation, meine Eltern haben mich mit einem Kassettenrecorder bestochen...).

    Ich habe Ende der Neunziger mal ein paar Jahre in D'Dorf gewohnt. Sooo schlimm fand ich es eigentlich nicht...

    AntwortenLöschen