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Samstag, 19. März 2016

Generalprobe light

Ich liege im Bett und schwelge kulinarisch vor mich hin. Dabei muss ich allerdings aufpassen, dass ich bei dem Gedanken an diverse (und viele) belegte Brötchen vom Bäcker das Kopfkissen nicht voll sabbere. Aber immerhin treibe ich ja Sport, damit ich Kekse essen kann, oder so. Wie dem auch sei, heute starte ich meine Genralprobe und fahre mit dem Fahrrad nach Krefeld Uerdingen. Das sind auf einer Strecke ungefähr 30 Kilometer - und dann muss ich ja auch noch zurück. 

Beim vollwertigen Frühstück mit Dinkelflocken studiere ich die Rad-Karte und notiere mir die Knotenpunkte, nach denen ich mich unterwegs richten werde. Also genauer gesagt notiere ich die Knotenpunkte, solange es nicht kompliziert ist. 

Zwei Stunden später bin ich abfahrbereit. Die Lenkertasche ist gepackt - vorwiegend mit Proviant, Kamera und Stativ - und noch schnell ein Vollkornbrot mit etwas Butter und Rinderschinken verputzt. Es kann losgehen. 

Ich habe vor, bis St. Tönis Feldwege zu benutzen und ab St. Tönis dann zu gucken, wie es weiter geht - und so mache ich es auch. Als ich so zwischen Gefrath und Oedt (auch Grefrath, nur auf der falschen Seite der Niers) bin, sehe ich einige Landarbeiter auf einem Feld. Ein Hänger semi-blockiert den Weg und der zuständige Bauer ist gerade dabei, diesen per Trecker mit einer riesigen Baggerschaufel mit Mist zu befüllen. 'Boah', denke ich und beäuge Baggerschaufel und Mann misstrauisch, 'wenn der jetzt ablädt, bin ich gemistet', aber er wartet höflich ab, bis ich vorbei bin ... zu wessen Glück auch immer. 

Weiter geht es. Ich wundere mich ein wenig sowohl über die Streckenführung der Radwanderkarte, als auch über das pfadfinderische Geschick des Beschilderers und hoffe inständig, dass dieser Job am Nordkapp, wo ich nicht ortskundig bin, nicht von einem arbeitsplatzbeschafften Mitarbeiter erledigt wird. Ich habe immerhin bei Zeiten gewusst, dass Geographie nicht so mein Studienfach ist und habe mich nach drei Semestern der Gastronomie zugewendet. Essen liegt mir einfach mehr. Aber vielleicht war der Schildersteller ja auch ein Beauftragter des Kreises und es gibt, pro gelistetem Radweg-Kilometer, Zuschüsse vom Land. Kann ja auch sein. 

Wie dem auch sei verlasse ich Oedt nach einigen kleineren Schlenker-Umwegen und biege nach rechts in's Feld ab. Am ersten Pferdehof, den ich passiere, freue ich mich ausgiebig darüber, dass Özlem mal wieder nur das gehört hat, was sie für wichtig erachtet und sich schon mal im Handschuhfach der Honda gemütlich eingerichtet hat. Nun, da kann sie lange warten und ich lege eine erste Pause ein. Ok, ich bin erst siebendreiviertel Kilometer weit gekommen, aber man muss die Pausen legen, wie die Foto-Motive fallen, sozusagen. Zum futtern ist es leider noch zu früh.


Nachdem ich noch den einen oder anderen Pferdehof hinter mir gelassen und die Hausbesitzer links und rechts des Wegesrandes glühend ob der fantastischen Wohnlage und der Baukultur beneidet habe komme ich an eine Bundesstraße und weiß nicht so recht, wo es weiter geht. Auf der anderen Seite kommt ein älterer Herr geradelt, der die Straße überquert und in 'meinen' Feldweg einbiegt. Ich halte ihn an und frage, wo es denn längs geht. Er erklärt es mir freundlich, denkt dabei nach, was am einfachsten ist und beschließt, dass es am einfachsten sei, ein Stück mit ihm zu fahren, was ich auch tue. Ey, der Mann trägt Helm, über einer Strickmütze, was soll er Böses im Schilde führen? Wir fahren ein paar Meter und ich habe ein schlechtes Gewissen, denn während er ordentlich strampelt radel ich ganz locker neben ihm her und muss mich sogar etwas bremsen. Irgendwie erinnert mich die Situation an einen Trainer, der neben seinem japsenden Jogger-Schützling her radelt und ihn anfeuert. An der richtigen Stelle verabschiedet sich der Senior mit den Worten: "Da geht's lang, bis zur nächsten Kreuzung und dann ... " und radelt winkend weiter. Ab jetzt ist er wieder der Schnellere. 

Weiter geht es. An einem stinkenden Obsthof vorbei, an hübschen Häusern und an weniger hübschen Gehöften und umgekehrt, bis ich auf die Düsseldorfer Straße, der Landstraße zwischen Kempen und Tönisvorst stoße und mich nach rechts, dem Knotenpunkt 16 zuwende, der mitten in St. Tönis beheimatet ist. Ein paar Meter weiter mache ich meine erste Futter-Pause. Ich mampfe zwei Prinzenrolle-Kekse und setzte die Wasserflasche an.  Drei habe ich mit. Wasserflaschen. Kekse leider nur zwei.

Gesättigt und frisch gestärkt erreiche ich das Zentrum von St. Tönis und verliere den Radweg. Aber gut, ich habe die Strecke auch nur bis hierher geplant und ab jetzt kenne ich den Weg auch so. Also mit dem Auto. Mein Ergeiz liegt allerdings darin, den richtigen Radwanderweg zu finden, was hier der Euregio-Radwanderweg ist, aber irgendwie ... Nun gut. Ich verfahre mich und frage eine Briefträgerin, wo es denn lang geht. Immerhin ist sie auch mit dem Rad unterwegs und müsste es eigentlich wissen. Dumm nur, dass der Euregio nicht ihr Bezirk ist. Also beschließen wir gemeinsam, dass ich einfach der B509 folge, die auch einen Radweg hat. Ist zwar nicht so schön, aber es sollte gehen. 'Nicht so schön' entpuppt sich als ein Radweg in unglaublich schlechtem Zustand. Ich gehe aus dem Sattel, um die Schläge abzufangen. Meinen Rücken brauche ich noch - und zwar einteilig.

Ich erreiche Krefeld. Der Radweg ist breit und der Bürgersteig, der nebendran ist, ist noch breiter. Ein älterer Herr läuft in die gleiche Richtung in die ich fahre und zieht ein Aktenköfferchen hinter sich her. Plötzlich schwenkt er ohne zu gucken nach links und betritt den Radweg. Er will wohl zu der Straßenbahn-Haltestelle, die sich in der Mitte des vierspurigen Zubringers befindet. Ich lege eine Vollbremsung hin und kreische derartig hysterisch: "Vorsicht, Vooooorsäääääächt!", dass es Oskar Matzerath zur Ehre gereicht hätte und ich bin heilfroh, dass Glas heutzutage auch nicht mehr das ist, was es mal war. Alles bleibt heile - inklusive dem Mann und mir. Aber es war knapp - verdammt knapp. Nur was ist das? Der Typ lächelt! Unglaublich! Der hat nichts mitgekriegt. Und er lächelt immer noch, als ich mich völlig verdattert entschuldige. Häää? Hallo? ICH entschuldige mich? "Meine Güte, bin ich wohlerzogen", denke ich und brülle - um den Image-Schaden in Grenzen zu halten - im Weiterfahren, dass es auch ganz nett gewesen wäre, wenn auch er sich bei mir entschuldigt hätte, immerhin wäre es sein Part gewesen und nicht meiner. Hmpfff ... 

Langer Rede, kurzer Sinn, ich durchquere Krefeld auf direktem Weg und erreiche - ortskundig, wie ich nun mal bin - nach insgesamt 31 Kilometern und 2 Stunden Fahrt den Rhein in Uerdingen. 

  
Nach ein paar Fotos und einem Müsli-Riegel trete ich die Heimreise an. Geplant war, nun in's Zentrum zu radeln und dort den Zug zurück zu nehmen. Also los! Ein halbes Vermögen und 10 Minuten später, steige ich am Kempener Bahnhof wieder aus dem Zug und radel die letzten 12 Kilometer nach Hause. Nein, cut, CUT! Ich bin nämlich kein Stück kaputt und fahre wieder zurück. Mit dem Fahrrad. Den ganzen Weg ... Den ganzen weiten Weg, wohlgemerkt ... und tröste mich anderthalb Stunden später damit, dass, wenn ich den Zug genommen hätte, jetzt auch nicht weiter wäre, als ich es gerade bin ... nur halt nicht so schlapp.

Jetzt brauche ich einen Plan B! Denn ob ich morgen noch einmal Lust auf so eine Strecke hätte? Gut, das kann ich jetzt noch nicht wissen. Aber ein 'Plan B' ist immer gut.

16 Kommentare:

  1. Heichen,
    das ist eine phantastische Leistung - ich gratuliere!

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  2. ... und ein sehr schönes Bild!

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  3. Ich verneige mich in Ehrfurcht vor Deiner sportlichen Leistung. Wir haben heute nach 28km die Flucht vor dem eisigen Gegenwind angetreten.

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    1. 28 km bei eisigen Gegenwind ist ungleich härter :-)

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  4. Welch eine coole Aktion. Und: You look yanger than ever, yanger than ever, Miss Funny.
    Richtung Nordkap wird es einfacher: Da gibt es nur alle x-hundert Kilometer einen Abzweiger und Radwege gar nicht.

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    1. Danke schön, du Liebe :-)

      Ach, es gibt keine Radwege? Darf man denn auf dem Bürgersteig fahren? In ganz Skandinavien, oder nur in Norwegen? Ach menno, Fragen über Fragen :-)

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  5. Kamikaze-Fussgänger ! Sind wie Kinder. Völlig Ahnungslos.
    Geil sind auch die, die es zu Zweit schaffen, sich auf einem 4m breiten Weg so ....ffffffffetttt zu machen, dass man kaum vorbeikommt.
    Wenn du all die Chaoten irgendwann schon am Gang erkennst, bist du endgültig Vollblutradfahrerin.
    ... Oder die, wo sich sofort beschweren, wenn man MAL auf dem Fussweg fährt, aber mit aller Selbstverständlichkeit auf dem Radweg lustwandeln, wie Karl von Frankreich.
    Bäh.
    :-)
    Deine Leistung ist höchst beachtlich, weiter so !
    Ob du das im Urlaub jeden Tag schaffst ?
    Die Frage ist falsch gestellt. Schaffst du es, die bombastische Schönheit (Süd-)Norwegens zu überleben, ohne zu explodieren ?
    Ok, oder schaffst du es, die ganzen Anstiege zu meistern ... mit dem Mopped bügelt man das alles platt.
    Hm..... Jedenfalls, wenn du DORT soviele km am Tag machst, schreist du am nächsten Tach nach mehr, weils so schön ist.
    ....
    Du sollstest vor NOR nochmal ein kleines Bergtraining absolvieren, glaub ich.
    Schöne Grüsse, Michael

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    1. Pöööh, ich kann ja nichts dafür, dass es hier keine Berge gibt :-)

      Aber du hast natürlich Recht, Berge muss ich auf jeden Fall noch trainieren, bevor ich überhaupt weiter an Norwegen denken kann. Ich würde bei Gelegenheit gerne den Kandel rauf fahren. Lil' Ben hat das knapp unter einer Stunde geschafft und das will ich toppen :-)

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  6. Du kannst ja auch erstmal im Sauerland anfangen mit dem Bergtraining. Da kann einer auch schon mächtig die Puste ausgehen :-)

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    1. Das ist eine gute Idee, danke für den Tipp. Sollte ich wirklich im Auge behalten.

      Grad habe ich in einem Blog gelesen, dass Kiel gefühlt auf 7 Hügeln liegen soll :-)

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    2. Da scheint es noch mehr Städte mit sieben Hügeln zu geben. Siegen soll auch so eine Stadt sein... :)

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    3. Heute habe ich festgestellt, dass, wer am Niederrhein wohnt, kein Sauerland braucht. Boah, watt isset hier hügelich :-)

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  7. Beim Prolog am NOK sind vermutlich die stärksten Berge die Deiche. Zumindest, die man sieht. Viele "Berge" spürst du da hauptsächlich in den Beinen.
    Aber keine Bange, das ist alles meisterbar. Meine Tante ist noch mit über sechzig von Hamburg aus in die Holsteinische Schweiz geradelt. Mit einem Rad mit nur einem Gang. Und war in Lübeck und Plön und weißgottwonoch.

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